»Die Frau ohrfeigte mich, weil ich zu frech zu ihr war«
Antirassistische Initiative: 302 Flüchtlinge starben
in Deutschland seit 1993 durch staatliche,
78 durch nichtstaatliche Gewalt
von Uwe Kalbe
Jährlich seit 1993 veröffentlicht die Antirasistische Initiative Berlin eine Dokumentation mit den ihr bekannt gewordenen Fällen von Gewalt gegenüber Ausländern in Deutschland. Beispiele staatlicher Gewalt finden sich neben den Überfällen meist rechter Jugendlicher.
Am 31. Oktober versuchen mehrere BGS-Beamte auf dem Flughafen Berlin-Tegel eine Frau nach Ghana abzuschieben. Als diese sich wehrt, wird sie in den Magen und gegen den Oberkörper geschlagen. Sie wird in das Abschiebegefängnis nach Köpenick zurückgebracht. wo sie bereits seit Juni inhaftiert ist Dort klagt sie über Schmerzen. kann nicht lange sitzen und sich nur langsam bewegen.
Als sie der Gefängnisärztin über ihre Gewichtsabnahme
auf 48 Kilo erzählt, antwortet diese sinngemäß, schlanke
Frauen gefielen deutschen Männern besser. Auch ein zweiter Abschiebeversuch
scheitert, obwohl dabei die Fesseln an Füßen und'
Händen nochmals zusammengebunden sind, so dass die Frau nahezu
bewegungsunfähig ist. Sie schlägt mit ihrem Kopf so oft an die
Wand, bis sie abermals zurückgebracht wird.
Beide geschilderten Fälle sind in der nunmehr elften Dokumentation
»Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen«,
der des Jahres 2003, aufgeführt, die die Antirassistische Initiative
jetzt der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Sie zählen eher
zu den glimpflichen Beispielen, nicht zu denen, die mit dem Tod endeten.
Wenngleich es für die Betroffenen zweifellos einschneidende Erlebnisse
waren. Doch auch jene gibt es erneut. Mindestens eine Person, so hält
es die Dokumentation fest, starb auf der Flucht nach Deutschland, acht
Flüchtlinge erlitten dabei Verletzungen. Sechs Menschen töteten
sich selbst - aus Angst vor Abschiebung oder bei der Flucht aus der Abschiebehaft.
Mehr als 93 Flüchtlinge verletzten sich bei Suizidversuchen und überlebten
zum Teil schwer verletzt. 77 von ihnen befanden sich dabei in Abschiebehaft.
Die Tendenz der letzten Jahre setzt sich damit fort. Während immer
weniger Menschen auf ihrer Flucht überhaupt bis nach Deutschland gelangen,
erhält ein stetig sinkender Anteil derer, die hier einen Asylantrag
stellen, auch die Anerkennung als Flüchtling. 2003 waren es noch 50
564 Flüchtlinge, denen die Einreise gelang, mit 1,6 Prozent w die
Anerkennungsquote für Asylsuchende die niedrigste denn je, wie die
Menschenrechtler des Berliner Vereins feststellen. Und sie verweisen darauf,
das diese von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) als »erfreulich«
bezeichnete Entwicklung Folge der zunehmend restriktiv umgesetzten Asylgesetze
und der Abschottung Deutschlands an seinen Grenzen ist.
Seit 1993 hat sic die Liste der Vorfalle von Tod und Verletzung auf mittlerweile 3400 verlängert. Insgesamt starben auf dem Weg nach Deutschland 145 Menschen, 398 wurde verletzt. 121 Menschen töteten sich im Angesicht ihrer drohenden Abschiebung selbst, 493 überlebten zum Teil mit erheblichen Verletzungen. Fünf Flüchtlinge starben während der Abschiebung. bekanntlich hat erst in diesen Tagen, vier Jahre nach dem Tod des Sudanesen Aamit Ageeb, der Prozess gegen die an der gewaltsamen Abschiebung beteiligten Be ten begonnen.
Zehn Menschen starben der Dokumentation zufolge bei »abschiebeunabhängigen Polizeimaßnahmen«. 309 Wurden durch Polizeigewalt verletzt. Voneinander unabhängige Untersuchungen auch anderer Organisationen wie Aktion Courage oder Amnesty International haben gerade in jüngster Zeit zahllose Belege für Übergriffen Beamter gegen Ausländer geliefert, Auf eine unselige Weise verschwimmen die Grenzen zwischen staatlich sanktionierter Gewalt und jener, die »auf der Straße«, von meist Rechten, ausgeht.
Zwölf Menschen haben der Aufstellung zufolge durch rassistische Angriffe auf der. Straße ihr Leben verloren, 66 starben bei Bränden oder Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. 636 wurden dabei verletzt, Unbezweifelt ist eine hohe Dunkelziffer. Ausländer fürchten oft Anzeigen gegen ihre Peiniger; aus nachvollziehbaren Gründen besonders, wenn diese Umform trugen. Vor dem Hintergrund staatlicher Gewalt in den Heimatländern von Asylbewerbern müssen solche Erlebnisse in dem vermeintlich sicheren Land ihrer Flucht: traumatisierend wirken. Und die Praxis, dass Polizeibeamte gegen Anzeigen in aller Regel mit Gegenanzeigen wegen Widerstandes gegen die staatliche Gewalt reagieren, bestätigt, wie berechtigt Zurückhaltung für die Opfer ist.
Zu trauriger Berühmtheit in der zentralen brandenburgischen Anlaufstelle
für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt ist die sogenannte Beruhigungszelle
Nr. 2007 geworden Immerhin handelt es sich bei den »Delinquenten«
nicht um Straftäter, nicht um Menschen die sich etwas zu Schulden
kommen ließen. Ihr Vergehen besteht darin dass sie nach Deutschland
kamen. Die Dokumentation gibt den ausführlichen »Erfahrungsbericht«
einer Keniane wieder. Alice Mutoni Kamaiu hatte wiederholt Bekanntschaft
mit dem dort installierten Metallgestell gemacht, an das die. Häftlinge
zur »Beruhigung« gefesselt werden. »Sie binden deine
Hände und deine Beine weit auseinander. Ein Gurt kommt um den Leib.
Manchmal binden sie auch die Gurte von den Oberarmen mit dem Gurt um den
Leib zusammen. so dass du gar. keine Kraft mehr hast... Danach duschten
sie mich, und eine Frau ohrfeigte mich so hart, dass ich blutete weil ich
frech zu ihr war... Sie nennen mich >die Schwarze<, und sie kamen und
fragten lachend, ob ich mich jetzt gut fühlen würde.« Insgesamt
sechsmal war die Frau, die wiederholt lautstark gegen Missstände in
der Haftanstalt protestierte, in der »Beruhigungszelle Nr. 2007«.
Am 24. November wurde sie abgeschoben